Nicht jede berufliche Biografie verläuft linear. Viele
Schulabgänger machen erst eine Ausbildung und holen später das Abitur nach, um
zu studieren. Auch Zahnärzte finden über diesen Weg in den Beruf. Zwei
Beispiele.
Nach der Volksschule direkt weiterpauken bis zum Abitur? Für
Dr. Bernhard Jäger war das als 14-Jähriger keine Option. „Ich war ein ganz
verträumter Junge. Schule hat mich nicht so interessiert. Für eine
Herausforderung wie das Abitur war die Zeit einfach noch nicht reif“, erinnert
sich der Zahnarzt aus Mannheim.
Fernmeldehandwerker
bei der Deutschen Bundespost
Jäger machte stattdessen eine Ausbildung zum
Fernmeldehandwerker bei der Deutschen Bundespost. Er schloss sie 1967 ab und
wurde danach sofort als Ausbilder für die Lehrlingsausbildung übernommen.
„Rückblickend finde ich es weniger gut, dass ich als Anfänger Anfänger
ausgebildet habe. Andererseits hat mich das aber motiviert, eigene Ideen und
Konzepte auszuprobieren“, erzählt der 65-Jährige.
Diese Experimentierfreude war es dann auch, die ihn antrieb,
ein Jahr nach der Gesellenprüfung zurück an die Schule zu gehen und auf dem
zweiten Bildungsweg sein Abitur zu machen.
Ähnlich, aber doch anders entwickelte sich der Lebenslauf
von Anna Kolano. „Ich bin in der siebten Klasse vom Gymnasium auf die
Realschule gegangen. Das lag gar nicht so sehr an meinen Noten, sondern weil
ich mich auf dem Gymnasium überfordert gefühlt habe“, erklärt die 26-Jährige,
die im vierten Semester Zahnmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in
München studiert.
Dass sie ihr Abi nachmachen wollte, beschloss die Schülerin
schon in der achten Klasse. Der Grund: „Für alle Berufe, die mich als Kind
interessiert hatten, brauchte man Abi. Diese berufliche Flexibilität wollte ich
mir unbedingt sichern“, so Kolano.
Job-Einstieg als
Krankenschwester
Trotzdem entschied sie sich zunächst eine Ausbildung zur
Krankenschwester zu machen. Zum einen, um eine sichere Grundlage zu haben, und
zum anderen, weil ihr der direkte Einstieg nach der zehnten Klasse Realschule
in die elfte Klasse Gymnasium nicht sinnvoll erschien. Dafür hätten ihr einfach
zu viele Vorkenntnisse gefehlt.
Auf die Zeit als Schwesternschülerin blickt Anna Kolano mit
gemischten Gefühlen zurück. „Ich fand die Aufgaben, die uns gegeben wurden,
nicht besonders anspruchsvoll“, berichtet die Studentin. Vor allen Dingen
störte sie aber eine Sache: „Als Krankenschwester sah ich kaum
Aufstiegschancen. Man kann vielleicht irgendwann Stationsschwester werden und
hat noch ein paar wenige andere Möglichkeiten, aber das war’s.“
Für die Auszubildende reichte das als Perspektive nicht aus
und sie verfolgte ihren Plan, nach der Zeit am Krankenhaus wieder zur Schule zu
gehen, mit noch größerer Entschlossenheit. So machte sie sich beispielsweise
schon lange vor ihrer Abschlussprüfung schlau, auf welcher Schule sie ihr
Abitur nachholen konnte und wann sie sich dort bewerben musste.
Den ersehnten
Abschluss in der Tasche
Mit ihrer Ausbildung als Krankenschwester kam für Anna Kolano
nur die Berufsoberschule für Sozialwesen in München in Frage. Berufsoberschulen
(BOS) gibt es in vielen Bundesländern speziell für Absolventen einer
Berufsausbildung, die zusätzlich die Hochschulreife erlangen wollen. Um
aufgenommen zu werden, braucht man einen mittleren Schulabschluss und eine
erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung. Alternativ reicht auch eine
mindestens fünfjährige einschlägige Berufstätigkeit als Qualifikation
aus.
BOS gibt es unter anderem in den Ausbildungsrichtungen
Technik, Wirtschaft und - für Berufstätige aus dem Gesundheitswesen wie Kolano
- Sozialwesen. Die damals 20-Jährige fing im September 2008 in München an und
hatte zwei Jahre später im August das ersehnte Abi in der Tasche.
Neben Berufsoberschulen gehören Kollegs und Abendgymnasien
zu den gängigsten Trägern des zweiten Bildungswegs in Deutschland. Bernhard
Jäger machte sein Abitur an einem kirchlichen Kolleg in der Nähe von Achern und
war im Jahr 1971 einer von 226 Schülern in Baden-Württemberg, die ihr Abitur an
einem Abendgymnasium oder Kolleg bestanden.
Ganz egal, welche dieser Schularten man wählt - laut Anna
Kolano und Bernhard Jäger ist eine Sache überall gleich: Die Klassen sind bunt
zusammengewürfelt, sowohl im Hinblick auf die individuellen Vorkenntnisse als
auch das Alter der Schüler.
Eine absolut
heterogene Gruppe
„Der Älteste in meiner Klasse war 28 Jahre alt“, erinnert
sich Bernhard Jäger. „Was unsere berufliche Vorgeschichte betraf, waren wir
eine absolut heterogene Gruppe. Die vertretenen Ausbildungen reichten von
Gärtnern und Vermessern bis hin zu Mitschülern, die ein Metallhandwerk gelernt
hatten.“
Anna Kolanos Erfahrungen gleichen denen Jägers: „In meiner
Klasse betrug das Durchschnittsalter etwa 23 Jahre. Neben Krankenschwestern,
Kinderpflegern und Erzieherinnen hatten viele meiner Mitschüler auch
kaufmännische Ausbildungen oder waren Elektriker und Optiker, die aber alle im
sozialen Bereich gearbeitet hatten.“
Viele hätten auch schon eine Familie gehabt, berichtet
Kolano. Alles in allem trug das laut der Studentin dazu bei, dass eine sehr
unaufgeregte Atmosphäre in der Klasse herrschte, ohne die vielen „Zickereien“,
die sie als Teenager an ihrer früheren Schule erlebt hatte.
„Eine schlechte Note hat mich nicht umgehauen“
Nach der Ausbildung wieder die Schulbank zu drücken und viel
Stoff in kurzer Zeit nachzuholen, haben sowohl Bernhard Jäger als auch Anna
Kolano als anstrengend in Erinnerung.
„Das war alles ganz neu, egal ob es um Bio, Chemie,
Griechisch oder Latein ging. Der Stoff war auch oft schwierig. Ich hab mich
aber nicht unter Druck gesetzt und das alles ganz locker genommen - auch
Niederlagen. Wenn ich mal eine schlechtere Note geschrieben habe, hat mich das
nicht umgehauen. Das war eine gute Vorbereitung auf’s Studium, wie ich heute weiß“,
erzählt Zahnarzt Bernhard Jäger.
Seine junge Kollegin bestätigt, dass die Herausforderungen
immer größer geworden sind: „Damals an der BOS dachte ich, es ist hart. Aber verglichen
mit jetzt, war der Stoff eher leicht. Damals habe ich zwei Stunden am Tag
gelernt, jetzt im Studium sind es vier bis sechs Stunden täglich.“
"Mich hat
nichts so schnell aus dem Konzept gebracht“
Ihr längerer Weg zum Abitur hilft Anna Kolano, Stress im
Studium besser zu bewältigen. Nicht bestandene Prüfungen nerven sie zwar, sie
sind aber kein Weltuntergang. „Im Laufe der Jahre bin ich abgehärtet im Sinne
von weniger sensibel für Rückschläge geworden“, sagt sie.
Auch aus Bernhard Jägers Sicht ist es kein Nachteil, später
ins Studium einzusteigen. Er habe davon profitiert, ein paar Jahre älter
gewesen zu sein: „Man bringt dann ganz andere psychische Voraussetzungen mit
als manche jüngeren Kommilitonen. Mich hat nichts so schnell aus dem Konzept gebracht.“
Rückblickend ergibt für Anna Kolano ihr Umweg ins Studium
irgendwie Sinn. Als Jugendliche sei sie einfach noch nicht bereit gewesen für
den Erfolgsdruck auf dem Gymnasium. „In der siebten Klasse bin ich abgegangen,
aber danach ging es kontinuierlich bergauf“, so ihr Resümee. „Es ist eine
schöne Erfahrung, dass ich mich durch harte Arbeit verbessert habe. Im Laufe
der Jahre habe ich so gelernt, was ich alles schaffen kann. Nur eben in meiner
Zeit.“
Unlängst erschienen auf zm-online.de.
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