Das Freiwillige
Wissenschaftliche Jahr an der Medizinischen Hochschule Hannover ist mehr als
nur ein Schnupperkurs. Es gibt Abiturienten die Chance, Forschung hautnah zu
erleben – und selbst Hand anzulegen.
Ein sachtes „Klick klick klick“ ist in dem fensterlosen
Labor zu hören. Im langen, weißen Kittel steht Jago Mävers an seinem
Arbeitstisch, in seiner Hand hält er eine Pipette. Über ihren Dosierknopf
stellt er, wie bei einem Zahlenschloss, die benötigte Mikrolitermenge
Flüssigkeit ein. „Klick klick klick“ und die Skala zeigt die richtigen Ziffern.
Mävers zieht die Probe auf, füllt sie in ein Eppi und stellt sie auf Eis. Dann
geht es mit der nächsten Probe weiter.
Beim Pipettieren macht dem 18-Jährigen so schnell keiner
mehr etwas vor. Diese Technik konnte er in den ersten Monaten seines
Freiwilligen Wissenschaftlichen Jahres (FWJ) an der Medizinischen Hochschule
Hannover (MHH) perfektionieren. „Ich hatte viel Übung. Für die Versuchsreihe,
an der ich zurzeit mitarbeite, wird jede Probe doppelt analysiert. Ich muss
deshalb genau darauf achten, dass ich beide Male dieselbe Menge nehme, dass ich
die Pipette richtig benetze und dass am Ende auch alles rausgeht“, beschreibt
er die Tücken seiner Aufgabe.
Wenn Abiturienten Stammzellen erforschen...
Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens kennenzulernen,
ist ein Ziel des FWJ. „Die praktische wissenschaftliche Tätigkeit soll außerdem
die Berufsorientierung erleichtern, neue Perspektiven eröffnen und für ein
passendes Studium begeistern“, ergänzt Nadine Dunker, Leiterin des Büros für
die Freiwilligen Dienste an der MHH.
Schulabgänger haben seit 2011 die Möglichkeit, sich an der
MHH oder einem ihrer Partnerinstitute im wissenschaftlichen Bereich
auszuprobieren. Im aktuellen Jahrgang nutzen 82 Abiturienten diese Chance. Die
Teilnehmer können in einem Wissenschaftsgebiet ihrer Wahl, von Biomedizin über
Chemie und Physik bis hin zu Ingenieurswissenschaften, ein Forschungsprojekt begleiten
und beispielsweise Stammzellen, Gentherapien oder Impfstoffe erforschen.
...oder Daten zum Plattenepithelkarzinom sammeln
Jago Mävers arbeitet in der Forschungsabteilung der Klinik
für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie im Team von Dr. Andreas Kampmann mit.
Dort werden zum einen Tissue-Engineering-Produkte für den Knochenersatz
entwickelt, der zweite Schwerpunkt ist die Tumorforschung, speziell im Bereich
des Plattenepithelkarzinoms. Hier wird der 18-Jährige zurzeit eingesetzt.
„Wir ermitteln anhand von etablierten Tumorzelllinien,
archiviertem Tumorgewebe und histologischen Präparaten, ob eine Verbindung
zwischen einem bestimmten Phänotyp der Zellen und der Expression bestimmter
Gene besteht“, führt der Molekularbiologe Kampmann aus. „Wenn sich ein
Zusammenhang zwischen Phänotyp und Tumorwachstum herstellen lässt, kann das ein
prognostischer Faktor sein und eine Aussage über den Krankheitsverlauf eines
Patienten ermöglichen.“
Bloß nichts kaputt
machen
Die Methode, die das Team dabei anwendet, ist die
quantitative PCR, kurz für Polymerase Kettenreaktion. Die quantitative PCR erlaubt
es, die Menge eines Genproduktes zu messen und zu überprüfen, ob dieses Gen im
Tumor im Vergleich zum Normalgewebe mehr oder weniger aktiv ist.
Jago Mävers unterstützt seine Kollegen dabei, die nötige
Datengrundlage mithilfe quantitativer PCR zu erheben. Die verschiedenen
Arbeitsschritte – unter anderem das Pipettieren – hat er zusammen mit Andreas
Kampmann Schritt für Schritt gelernt.
Was für ihn mittlerweile Routine ist, war am Anfang mit
Aufregung verbunden. „Mir war sehr bewusst, dass viele Geräte im Labor
hochkomplex sind – und auch sehr teuer. Den Umgang mit ihnen zu lernen, fand
ich spannend. Gleichzeitig habe ich gehofft, dass ich nichts kaputt mache“,
erinnert er sichund lacht.
Taugen Schulabgänger für die Forschung?
Andreas Kampmann war anfangs skeptisch, ob ein FWJler seine
Abteilung bereichern könne, wollte es aber trotzdem ausprobieren. „Ich hatte
zugegebenermaßen Bedenken, als wir vorletztes Jahr unsere ersten FWJler
aufgenommen haben. Es ist ja nicht gerade wenig komplex, was wir hier machen. Natürlich
kann man sich alles aneignen, aber man braucht schon ein gewisses
Grund-Know-how. Und so frisch von der Schule, stellte sich durchaus die Frage,
ob das klappen kann“, sagt der 47-Jährige.
Der erste Versuch lief dann aber so gut, dass Kampmann sich
gerne wieder als Betreuer beteiligte. Nicht nur, weil es ihm Freude macht zu
beobachten, wie sich die FWJler entwickeln. „Es ist auch so, dass die ganze
Abteilung von ihrer Anwesenheit profitiert. Wenn man seine Arbeitsabläufe und
Fragestellungen für jemanden von außen aufbereiten muss, durchdenkt und
hinterfragt man sie noch einmal ganz neu“, erklärt er.
Man braucht ein dickes Fell
Für Kampmann ist das FWJ darüber hinaus Nachwuchsgewinnung
auf sinnvolle Weise, denn die Abiturienten lernen, auf welche Eigenschaften es
in der Forschung wirklich ankommt. Neben Sorgfalt und strukturiertem Denken sei
vor allem eines entscheidend: „Man braucht ein dickes Fell. Weniger wegen der
anderen Wissenschaftler, sondern vielmehr um mit dem eigenen Scheitern
klarzukommen. Man hat nämlich selten beim ersten Versuch Erfolg“, so der
MHH-Forscher.
Am Ende des FWJs soll Jago nach Andreas Kampmanns Willen das
Projekt möglichst komplett bearbeitet und verstanden haben. „Dabei bekommt er
natürlich andere Arbeitsaufträge als ein voll ausgebildeter Wissenschaftler
oder eine Technische Angestellte mit einem entsprechenden molekularbiologischen
Grundwissen. Ich bemühe mich aber, ihn nicht wesentlich anders zu behandeln.
Das kann manchmal sehr fordernd sein, aber dann ist es auch kein Problem, wenn
er mir das sagt. So findet man nach und nach heraus, auf welchem Niveau man die
Arbeitsaufträge ansiedeln kann“, so der Betreuer. Bisher funktioniere das sehr
gut, er sei überaus zufrieden mit Jago.
Auch der FWJler fühlt sich auf einem guten Weg: „Ich lerne
jeden Tag soviel. Aber natürlich mache ich auch jetzt Dinge noch oft, weil ich
sie machen soll. Die Zusammenhänge muss ich mir noch erschließen. Dabei hilft
mir Andreas und ich recherchiere selbst.“
Lernen, täglich arbeiten zu gehen
Im kommenden Herbst, ist sich der 18-Jährige sicher, wird
sich sein Wissen vervielfacht haben – nicht nur was die Forschung betrifft.
„Ich lerne, was es bedeutet, täglich arbeiten zu gehen und mich in einem Team
mit Chef und Kollegen zurechtzufinden“, erklärt er.
Auch bei der Berufsorientierung hat ihm das FWJ bereits
geholfen und ihm klar gemacht, dass ein naturwissenschaftliches Studium das
Richtige für ihn ist. Ein Forscher werde allerdings nicht aus ihm, räumt Jago
Mävers ein. „Ich will Arzt werden. Am liebsten Chirurg, entweder im
humanmedizinischen Bereich oder in der MKG-Chirurgie. Wäre ich nur im Labor,
würde mir der Kontakt zu Menschen fehlen und das Gefühl, jemandem unmittelbar
zu helfen“, erklärt er. „Das wissenschaftliche Denken und Arbeiten, das ich im
FWJ trainiert habe, wird mir im Studium aber sicherlich weiterhelfen.“
Unlängst erschienen auf zm-online.de
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